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La Sonnambula hat Premiere an der Deutschen Oper Berlin.

Diese Oper führt ins Herz des Belcanto. Amina liebt den reichen Bauer Elvino, wird im Bett des Grafen Rodolfo entdeckt, Elvino verstößt sie, Amina ist am Boden zerstört. Elvino will nun die Wirtin Lisa heiraten, Rodolfo erklärt öffentlich Aminas Unschuld, da erscheint die nachtwandelnde Amina und singt von ihrer Sehnsucht nach Elvino. Elvino erkennt seinen Fehler, alles wird gut.

Die Sonnambula („Nachtwandlerin“), die Jossi Wieler und Sergio Morabito meinen, ist kein romantisches Rührstück, sondern eine düstere Geschichte in einem abgeschiedenen Bergdorf, die von tragischer Vereinsamung und falscher Liebe erzählt. Das Regie-Duo zeigt Amina als krankhaft schüchterne Waise, die den nicht minder schüchternen Elvino mit fast divinatorischer Hingabe liebt. Doch der vermeintliche Treuebruch Aminas ändert alles, und Amina versinkt in dunkler Seelenqual – die Regie deutet an, dass das Dorfleben für die Einzelgängerin schon immer voller Not war. Amina, von Venera Gimadieva berührend intensiv gespielt, drückt sich an Wände, presst sich in Ecken, verkriecht sich in Schränken. Dorfidyll und Alpenglück sehen anders aus. Das Einheitsbühnenbild – ein trister Gewölbesaal eines alpenländischen Gasthofs – rahmt die Handlung knapp und illusionslos. Von wegen, alles wird gut.

Auf Klappbänken drängen sich die Dorfbewohner, übermannshohe Schränke reihen sich düster an der Saalmauer, kleine, verschmierte Fenster schließen die Welt eher aus als dass sie sie hereinholen. Schimmel zieht sich über Mauern, im Gewölbe hängen Neonleuchten, hinten eine muffige Treppe (Bühne Anna Viebrock). Die Oper spielt in den 60ern, plus-minus ein Jahrzehnt. Die nackte Gewölbedecke überwölbt symbolisch die Geschicke der Dorfbewohner, deren vielschichtige Handlungs- und Seelenfäden hier zu einem Kosmos menschlicher Gefühle zusammenlaufen.

Diese Sonnambula ist ein unergründliches Drama von fast Ibsen’scher Unbeugsamkeit. Ein untergründiger Realismus, der in die Seelen der Personen sieht, ergänzt Bellinis schonungslos sehnsuchtsvolle Melodien. Folgerichtig verweigert das Schicksal Amina und Elvino das Happy End. Zu tief sind die Verletzungen, zu weit von den Herzen hat sich die Liebe entfernt.

Der Regie genügen wenige, triftige Striche, um die Personen treffend zu zeichnen. Teresas Putzfimmel, Lisas sarkastisches Lachen bei den Unschuldsbeteuerungen Aminas scheinen aus Verzweiflung geboren. Doch bei Morabito/Wieler bleibt das Mitgefühl nicht auf der Strecke. Das macht die Produktion wissend, sorgt immer wieder für Lacher im Publikum.

Die Produktion übernimmt die Deutsche Oper klug und elegant aus Stuttgart, die recht einhellig von der Kritik gefeierte Premiere dort fand 2012 statt.

Der schlüssigen Inszenierung, die sich Bellinis Belcanto-Kosmos vorsichtig-behutsam annähert, steht nur bedingtes Sängerglück gegenüber.

Die Sänger: zwischen Belcanto-Lust und Belcanto-Frust

Als Waisenmädel Amina führt Venera Gimadieva eine zerbrechlich schmale Sopranstimme ins Belcanto-Feld. Die Höhe ist belegt und eng, unsicher die Attacke (Premieren-Nervosität?), Ausstrahlung und Farben sind etwas unterrepräsentiert und Gimadievas verzierte Passagen beileibe nicht immer ein Vergnügen. Ah, non credea mirarti, die Nachtwandler-Arie und Zentrum der Oper, überzeugt jedoch mit feinem Piano und kostbarem Seelenton. Der Elvino des Jesús León ist die Überraschung des Abends. Auch sein Material ist nicht üppig und gründet auf fast noch schmalerer Basis als bei Gimadieva, wird aber Belcanto-konform eingesetzt und ist absolut höhentauglich. Was an Farbe und letzter Flexibilität fehlen mag, macht der feine, subtile Klang im Nu wett, der wie geschaffen ist für den aufrichtigen Herzenston dieser halb ernsten, halb komischen semiseria ist – besonders Prendi l’anello im 1. und Tutto è sciolto im 2. Akt haben kostbaren Tenorschmelz.

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Rodolfo (Ante Jerkunica) mit seinem Sparafucile- und Gremin-Bass ist nicht die Idealbesetzung für die Kavatine Vi ravviso, o luoghi ameni, Jerkunica bringt aber Autorität und noble Wärme in die Partie ein. Optisch ein schlanker Hingucker, schafft dieser Conte gerade noch die Wendung vom adlig selbstgefälligen Schwerenöter zum väterlich-verantwortungsvollen Freund. Teresa, die Ziehmutter Aminas, wird durch Helene Schneiderman glänzend charakterisiert. Als hartherzige Ersatzmutter im schicken Kostümchen glänzt Schneiderman mit grausamem Verheiratungseifer. Ihr Mezzo neigt allerdings zu Härten. Die kokette Wirtin Lisa wird von Alexandra Hutton gesungen. Als gemeingefährlicher Flirt-Tornado schlägt sie Schneisen der Verwüstung in die miefige Dorfidylle, kämpft aber glücklos um ihre Liebe zu Elvino. Die zauberhafte Kavatine Tutto è gioia singt sie unruhig vibrierend und mühevoll in Sprüngen und Höhe. Verlässliche Kräfte sind Andrew Harris als unglücklich liebender Alessio und Jörg Schörner als eifriger Notar.

Bekanntlich schmiss Diego Fasolis (der im November Unter den Linden mit Monteverdi überzeugte) zwei Tage vor der Premiere hin. Ihm folgt Stephan Zilias, doch leider fordert das kurzfristige Einspringen seinen Tribut. Spannungs- und mutlos, unprofiliert und rhythmisch mau spult der Belcanto-Abend ab. Das Orchester-Tutti hat weder Pepp noch Pfiff, da blühen keine Bögen, es gibt so gut wie keine Stellen, die entzücken – das Hornsolo im Duett der 1. Szene, 2. Akt dürfte eine der wenigen Ausnahmen sein. Nicht hoch genug einzuschätzen ist jedoch Zilias‘ durchgängig sängerfreundliches Dirigieren. Auch der Chor der Deutschen Oper ist durch das Bäumchen-wechsel-dich der Orchesterleiter verunsichert oder schlecht vorbereitet. Die Leistung des Chors streift das Ärgerliche. Dennoch: Wie schön, dass Berlin mal wieder mehr Belcanto wagt.

Viel Applaus für die Sänger, einige massive Buhs für die Regie.

Fotos: Bernd Uhlig


Weitere Premieren-Kritiken: Mit schlafwandlerischer Sicherheit (Maria Ossowski für rbb24), bittere Gesellschaftsfarce (Online-Merker). Und hier eine Premierenkritik zur Stuttgarter Premiere 2012.