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Korngoldianer haben in Berlin derzeit gut lachen. Nach der Premiere von Das Wunder der Heliane im Frühjahr an der Deutschen Oper eröffnet die Komische Oper ihre Premierensaison mit Korngolds bekanntestem Bühnenwerk Die tote Stadt. Die äußere Handlung ist schnell erzählt. Paul trauert um seine tote Frau Marie. Er verliebt sich in die Tänzerin Marietta. Paul kann Marie nicht vergessen. Marietta verspottet Pauls Kult um die Tote. Paul erwürgt Marietta. Doch dann – April! April! – war alles nur ein fiebriger Traum. Die innere Handlung erzählt von Obsession, von Begehren und Tod. Und von der Kraft der Liebe. Traumfabrik Oper oder die Oper als Trauerarbeit, der Zuhörer hat die Wahl. Unterfüttert von einer fabelhaft überhitzten Musik, wurde die fin-de-sièclige Künstleroper (uraufgeführt 1920) zu einer der aufregendsten Bühnenwerke der 1920er Jahre.

Robert Carsen inszeniert und enttäuscht. Kalt und allzu berechenbar ordnet Carsen Bühne und Handlung. Von den Bedeutungsschichten, die ein inspirierter Regisseur der tiefenpsychologisch schillernden Toten Stadt abgewinnen könnte, bekomme ich wenig mit. Der Kraft der Korngold’schen Melodie setzt Carsen eine eindimensionale Bühnenerzählung entgegen. Die kesse Blondine Marietta umgarnt den psychisch angeknacksten Paul mit einem perfiden Flirtplan. Sie schwingt pausenlos das Tanzbein.

Bei Carsen ist diese Marietta ein bisschen verruchte Femme fatale im Flatterkleidchen, ein bisschen Pippi Langstrumpf aus der Großstadt, ein bisschen zickig verzappelte Soubrette, das ist der Spannungsbogen. Paul zeigt sich von diesem impulsiven Luxusgeschöpf restlos überfordert, trägt pausenlos Anzug und tigert händeringend durch sein ödes Kingsize-Schlafzimmer. Ist das nun pure Einfalt oder doch höhere Regiekunst? Ich vermute Ersteres.

Mariettas feierwütige Freunde profilieren sich als trostlose Variété-Heinis, und nicht viel besser gelingen die weiteren Szenen: blutleer der Aufmarsch der Friedhofsprozession, ideenlos die durch Pauls Schlafzimmer irrende Marienprozession mit gefühlt zehntausend Marienstatuen. Und Marietta – Überraschung! – schwebt auf dem Deckenleuchter wie ein fescher Putto vom Bühnenhimmel herab.

Besseres gibt es von den Sängern zu berichten, vor allem Sara Jakubiak tönt gleißend und intensiv, gewagt schmal und immer aufregend, sie berührt am Ende des ersten Akts als aus dem Jenseits grüßende Marie (Bist du gewiss, hälst du mir noch die Treu?), im dritten Akt als Frau, die um ihre Liebe kämpft. Der Paul von Aleš Briscein singt tapfer mit lyrischem, sehr hellem Tenor, hat anfangs heftige Intonationsprobleme und überzeugt eher in den lyrischen Passagen. Beide glänzen im herrlich halbseidenen Glück das mir verblieb.

Günter Papendell (wattig timbriert) ist der seriöse Freund Frank und im zweiten Bild jener Fritz, der wunderbar liebeskrank Mein Sehnen, mein Wähnen vorträgt. Maria Fiselier verkörpert die treue Haushälterin. Beim Partymachen mischen die neckisch glitzernden Georgina Melville, Marta Mika, Adrian Strooper und Ivan Turšić mit. Komische-Oper-Chef Ainārs Rubiķis holt beim Dirigieren gerne den Holzhammer heraus. Er sorgt für Tempo und giftige Flötenschlangen. Feinzeichnung im Motivdickicht ist nicht oberste Priorität. Dafür hält er den Laden zusammen. Aber es gibt Luft nach oben.

Das Libretto hält Interessierten einige Besonderheiten bereit. Schäume, tolles Tänzerblut, aller Schranken ledig würde gut in die Lustige Witwe passen. Dramaturgisch ist das zweite Bild mau, aber musikalisch prickelt es wie Champagner. Nicht kapiert habe ich, warum es im zweiten Akt Schach, Brügge! heißt.

Viel Applaus.


Hundert11 findet die Carsen-Premiere richtig übel. Luehrs-Kaiser vom RBB ist ebenso ungnädig.