Staatsoper Nozze di Figaro Prohaska Röschmann

Schneller als die Badeente erlaubt: Anna Prohaska und Dorothea Röschmann lassen die Sau raus / Foto: Matthias Baus / staatsoper-berlin.de

Jürgen Flimm inszeniert.

Willkommen in der Knickebocker- und Reisekisten-Ära. Mein Kopfkino sieht Gerhart Hauptman auf Usedom. Herrje. 20er Jahre, richtig? 

Die Regie entschied sich für eine Verortung von Mozarts tollem Tag in einem Lamellen-umhegten Sommerfrischeraum (Bühneninvention Magdalena Gut) und setzt dramaturgisch-personenregie-mäßig voll auf Klamauk und Slapstick. Besonders schlimm erwischt es den narzisstischen Grafen. Der stolpert, wo er steht und geht, und erlebt ein Missgeschick nach dem anderen in seinem Lieblingsrequisit, einer unschuldigen Strandliege. Das sind Regisseurs-Gags. Neben mir wird laut gelacht.

Flimms inszenatorische Nase wittert im Mozart-Figaro die Nähe zum Rossini-Barbiere.

Aber ich werde den Eindruck nicht los, dass Flimm an Mozart herumpinselt, ohne dass es um Tieferes, Existenzielles geht. Ich sehe Buffa-Personen, keine Menschen. Das Beaumarchais-Tempo fehlt. Das turbulente Buffa-Versteckspiel um poveretto Cherubino im zweiten Akt wurde schon eleganter gelöst als heuer durch das endlose Herumschieben eines rollenden Kleiderschranks. Ähnliches lässt sich für das Quid pro quo des vierten Aktes sagen. Aus der Spannung ist die Luft raus – man sieht, was man kennt, nur halt ein ganz a bissl anders als man’s schon kennt. Aber Hand aufs Herz, Flimms detailverliebter Ponte-Figaro ist repertoire-tauglich und unterhaltsam.

Bühnentechnisch die einzige Überraschung ist das Einschieben der feinen Hügellandschaft im vierten Akt, die von einem für meinen Geschmack zu hellen Mondlicht beschienen wird.

Doch ich bleibe dabei. Es ist eine Regie, die Nonchalance, Heiterkeit und womöglich auch Tiefgründigkeit anvisiert und Leerlauf erntet. Der Flimm-Figaro ist unverbindlich.

Die Sänger.

Staatsoper Nozze di Figaro Ildebrand D Arcangelo

Mit Fliegerbrille sieht man einfach besser aus: Ildebrando D’Arcangelo / Foto: Matthias Baus / staatsoper-berlin.de

Conte Ildebrando D’Arcangelo ist ein prachtvoller Trottel, wie er im Buche steht. Dieser Almaviva hat das Fremdgehen so verinnerlicht wie Pavarotti einst das hohe C. D’Arcangelos markanter Bariton verbindet maskuline Energie und dynamisch delikat gestufte Kantabilität (Allegro-maestoso-Arie „Vedrò mentre io sospiro“).

Staatsoper Nozze di Figaro Anna Prohaska Dorothea Röschmann Marianne Cabassa

Hör immer auf das, was dir die Röschmann sagt: Marianne Crebassa sieht aus wie nach dem zehnten Likör / Foto: Matthias Baus / staatsoper-berlin.de

Die entzückende Contessa der Dorothea Röschmann ist eine dauerfrustrierte Gräfin in den besten Jahren und extrem liebesbedürftig. Die reiche Textur der Stimme entzückt. Die Färbung der Stimme ist auf beinah jedem Ton anders. Ein Genuss sind Röschmanns Rezitative, eine unlösbare Einheit von singender Deklamation und deklamatorischem Singen bis hin zu jenem erotisch timbrierten, hochvirtuosem gutturalem Gegacker, das Frau Röschmanns Darstellungen von Mozart-Frauen so unwiderstehlich macht. Sie singt ein balsamisches „Dove sono“, das im Allegro-Teil drei stilistisch recht tollkühn ausgestellte, weil nicht in den Notenfluss eingebundene zweigestrichene a’s auf „cangiar“ aufweist, was ihr aber niemand übel nimmt.

Anna Prohaskas (Susanna) feiner Sopran gebietet über das bekannte, eigentümlich farblose Timbre, das so wundersame Faszination ausüben kann. Die Tongebung ist hinreißend fokussiert. Weiteres Charakteristikum ist das bisweilen extrem lange Einschwingen der Stimme. Prohaskas Bühnendarstellung hat – man kennt’s, man schätzt’s, man genießt’s – jenes Flair, das jede Szene erfrischt und belebt.

Lauri Vasar ist als Figaro eine elegante Erscheinung, eher quirliger Doktorand als potenter Figaro, und stimmlich ein leichter, heller Bariton mit guter Tiefe, der seine prärevolutionäre Drohgebärde nur wenige Male aufblitzen lässt. Der schwerst pubertierende Cherubino findet in Marianne Crebassa seinen/ihren Meister. Crebassa lässt ihren Mezzo mit raschem, engem Vibrato über alle Register weich und dunkel-klangvoll leuchten. „Non so più“ singt Crebassa mit feinem Adagioteil und bewegendem Innehalten auf der Fermate. Viel Applaus.
Katharina Kammerloher gibt der langbehosten Marcellina Appeal und Mezzo-Grandeur. Basilio ist Florian Hoffmann, Peter Maus Don Curzio, und Otto Katzameier singt als Figaro-Vater Bartolo eine gute Rachearie. Olaf Bär ist der ewig grantelnde Gärtner Antonio. Die auch stimmlich aparte Barbarina wird von Sónia Grané gesungen.

Gustavo Dudamel dirigiert einen warm atmenden, hintersinnig buffonesken Figaro. Geschlossenheit und Reife sind Hauptmerkmale. Dudamels Tempomodifikationen fügen sich organisch in den Fluss von Mozarts dramatisch-lyrischem Orchester-Parlando ein. Vom Tempo her ist das weder ruppig-rasant noch kulinarisch-zeitlupig – weder Proto-Revolution noch Wehmuts-Rokoko. Dudamel lässt frei und frank atmen, die Holzbläser dürfen lustvoll solistisches Süßholz raspeln.

Die Sinfonia war Einstimmung, nicht Zauberwunderstück. Der Solo-Fagottist brilliert mit halsbrecherischen Staccati. Die erste Szene ließ die Furcht aufkommen, dass Dudamel in den Rezitativen Sprechpausen von Harnoncourt’schen Ausmaßen – je länger je bedeutungstriefender – befürwortete. Doch rasch erwies sich, dass dies ein Fehleindruck war. Indes, einziger Einwand, Dudamels Don Giovanni an der Staatsoper – 2009 – fand ich noch zwei Stufen überwältigender.

Der gänzlich buh-freie Beifall war einvernehmlich, doch kurz.