Ist das Ganze nun stille Einfalt ohne edle Größe? Oder doch eine ziemlich sublime, hochromantische Angelegenheit? Die dann freilich mit einem filigranen Schuss Ironie daherkommt.

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Auf jeden Fall komplettiert die Deutsche Oper Berlin mit der opéra comique-leichten Dinorah ihre sensationellen Meyerbeer-Wochen – und begibt sich damit auf leichtere, aber nicht weniger faszinierende Opern-Pfade.

Ob man die im Ziegenhalter-Milieu angesiedelte Handlung ernst nimmt oder sich kringelig lacht, sei jedem selbst überlassen. Ganze drei handelnde Figuren von Bedeutung bietet diese Oper auf, deren Handlungskurven sich sanft über das bäuerliche Personal wölben. Und dabei ganz ohne Leiden und Leidenschaften auskommt.

Kurz und gut, die Titelheldin Dinorah hat ihren Verstand verloren, weil ihr Bräutigam unter die Schatzsucher gegangen ist, und streift nun verwirrt durch die bretonische Landschaft. Mit beweglich-leichtem Sopran singt Rocío Pérez diese hochgelegene Partie, Pérez‘ Stimme tönt spontan und präzise, auch in den charmanten Rezitativen, den von der Rolle geforderten naiven, jugendlichen Klang trifft die Spanierin punktgenau, wenn man auch tonliche Rundung und Phrasierung vermissen mag und Schärfen im Forte hört. In der entzückenden Arie Ombre légère, einem späten Beitrag zum Genre der Wahnsinnsarie, lässt Pérez die Koloraturen am passablen Schnürchen laufen.

Die Tenorrolle gehört in Dinorah nicht dem Lover, sondern dem Einfaltspinsel mit gutem Herzen, einer Art französischen Papageno, den Philippe Talbot mit idiomatischem Verve und vergnüglich parlandoflink interpretiert. Dieser – französische und immer fein pointierende – Tenor zeigt im Couplet Ah! que j’ai froid!, wie man Artikulation und Farbe passgenau abmischt. Die schönste, unterhaltsamste Stimme des Abends.

Für den schatzsuchenden Hoël bringt Régis Mengus einen sauber geführten und vorbildlich deklamierenden Bariton mit, der doch uneben und vibratös und nicht immer tonschön klingt.

Die Nebenrollen bieten nur Sängerfutter, aber exquisites. Nicole Haslett und Karis Tucker hätten sich vermutlich in der Wiege kaum träumen lassen, dass sie einmal als deux jeunes chevrières (Ziegenhirtinnen) auftreten würden. Aber sie tun es, und bieten zwei blitzsaubere Duettini, deren einziger Sinn darin zu bestehen scheint, zwei frische Frauenstimmen bestmöglich glänzen zu lassen. Das zweite, das Wacholder-Duett (Sous les genévriers), hätte ich vier Mal hintereinander hören können. Zum restlichen pastoralen Personal zählen der tenorsichere Gideon Poppe (ein Mäher) und Seth Carico, ein Jäger mit baritonaler Würze.

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Blumen für die Sänger: Meyerbeers Dinorah in Berlin

Dazu servieren die Musiker diese atmosphärische, leichtfüßige, die Sänger nie zudeckende, intime, haarsträubend stilsichere, von unerhörter Spätwerk-Leichtigkeit profitierende Musik Meyerbeers. Enrique Mazzola – mit geschmeidig wippendem Stab – hat da prima Vorarbeit geleistet, Cello-Kantilenen blühen cremig auf, das Hornquartett im Entracte des 3. Akts schmettert subtil und makellos, überhaupt mangelt es nicht an Tempo, Temperament, klangfarblicher Fantasie, pastoralem Charme. So hirnrissig die Handlung ist, so subtil ist der Sinnenreiz, den Meyerbeer über dem unfreiwillig oder freiwillig komischen Text ausbreitet. Bei mit Pause drei Stunden Spielzeit kommt so nie Langeweile auf.

Dass man die Fassung mit gesprochenen Dialogen spielt, ist gut. Die Zeiten, da man gesprochene Dialoge in deutschen Opernhäusern nur mit spitzen Fingern anfasste bzw. spitzen Ohren anhörte, sind Gott sei Dank vorbei, zumal die Hauptrollen mehrheitlich mit Franzosen besetzt sind.

Der Chor der Deutschen Oper steht auch heute Abend seinen Mann und seine Frau und versprüht Charme an jeder nur erdenklichen Stelle, ganz gleich wie tief das Niveau der gesungenen Texte auch sinken mag.

Jammerschade nur, dass die Herren im ewiggleichen schwarzen Anzug auftreten, nur Herr Talbot gestattet sich farblich einen Ausreißer. Da ließ sich Florian Sempey (im Louis-Quatorze-Mantel) letztes Jahr beim konzertanten Hamlet mehr einfallen. Aber Frau Pérez trägt ja elegantes One-Shoulder-Dress (im pastelligen Pfefferminzgrün), Enrique Mazzola immerhin leuchtend rote Schnürsenkel (wie schon in Le Prophète) – ein dezenter Hingucker.

Fazit: verstörend gute Musik, gute Sänger, wenngleich die Absagen von Florian Sempey und Sabine Devieilhe immer noch schmerzen, und ein famoses Orchester.


Weitere Premieren-Kritiken: vergnügliches Genre-Experiment (Hundert11), auf erstaunlich leichte Füße (Kai Luehrs-Kaiser, Kritik auf rbb24)