Herrlich. Eine Opern-Rarität, selten bis nie gehört, von einem der berühmtesten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Es ist keine Ausgrabung, denn es ist halbwegs bekannt, dass Prokofjew hochinteressante Opern schrieb, von denen es hierzulande allerdings nur Die Liebe zu den Drei Orangen zu regelmäßigen Spielplanwürden geschafft hat. Aber eine mit Spannung erwartete Entdeckung ist die Premiere von Die Verlobung im Kloster an der Staatsoper Unter den Linden allemal, zumal die in den ersten Weltkriegsjahren nach einem Libretto des Komponisten komponierte Oper gekonnt bei der Verwechslungs-Buffa und der satirisch angespitzten Heiratskomödie wildert.

Die Verlobung im Kloster Staatsoper Berlin 2019

Die Handlung gehört zu jenen kunstvoll ersonnenen Konstrukten der Mozart-Zeit (Vorlage 1775), in denen sich Schläue und Geldgier (meist auf Seiten der Alten) und Tapferkeit und herzensreine Unschuld (meist auf Seiten der Jungen) unversöhnlich gegenüberstehen. In der Verlobung finden sogar zwei Liebespaare zusammen, ein halsstarriger Vater erkennt seine Verblendung, und schließlich siegt die Liebe über das Kalkül. Dazu komponierte Prokofjew eine Musik, die schwelgt und sich schön macht, den Sängern klug den Vortritt lässt und den Geigen himmelsstrebende Kantilenen in die Saiten legt, dabei schlagfertig und modern ist bis in die Notenhälse hinein, streng und zärtlich zugleich.

Und dann so was.

Die Regie kreist abgehoben von allen Realitäten der Handlung in jener Stratosphäre, wo die Luft für normalsterbliche Opernversteher gefährlich dünn ist, lässt den Zuschauer schnöde allein mit den Finten und Finessen der Handlung.

Regisseur Dmitri Tscherniakow macht aus der Verlobung im Kloster (Обручение в монастыре) eine Therapiesitzung für Opern-Maniacs, für jene hoffungslosen Fälle also, für die wegen ihrer maßlosen Opernbegeisterung ein normales Leben unmöglich geworden ist. Wir verfolgen amüsiert, wie acht dieser anonymen Operaholiker unter Leitung eines Moderators in einem grellweißen, von Opernsesseln nur sporadisch möblierten Therapieraum eine Oper „erfinden“.

Hilfe zur Selbsthilfe für Operaholiker

Das Konzept ist klar. Die ehrwürdige Form der Oper – so will uns Tscherniakow weis machen – ist nichts anderes als das Resultat von Gruppentherapie – charmanter hat uns das noch kein Regisseur gesagt.

Da sich die Protagonisten allerdings in einer Art Dauertherapieschleife befinden, fragt man sich irgendwann, wo denn die Handlung bleibt. Das ist bisweilen herrlich komisch und unerwartet klug, aber bisweilen fühlt sich der Zuhörer regelrecht austherapiert. Dennoch ist bei Tscherniakow nicht aller Opern-Hopfen verloren. Denn er kann sich bei seinen mit Verve und Fortüne spielenden Sängern verlassen. Und auch die gekonnt kühl und dezent vorzeigbaren Klamotten machen Spaß (Elena Zaytseva).

Die Sängerleistungen sind erstaunlich bis in die Nebenrollen.

Allen voran Aida Garifullina, die die kokette Luisa als quicklebendige, angenehm nerdige (Rock, Bluse, weiße Strümpfchen, Brille) Tochter aus reicherem Hause spielt. Ihr Sopran aber gibt alles, tönt herrlich im reinen Klang, wird leicht und souverän geführt, punktet mit plastischem und plausiblem Ausdruck, Garifullina rührt und berührt, hat Bühnentemperament für zwei. Es gibt unter den jüngeren Sopranen derzeit wohl keine attraktivere Stimme. Ihr zur Seite steht Antonio, Luisas Herzensmann, von Bogdan Volkov, einem schüchternen Bubi, mit schlanker, tenorsicherer Stimme gesungen, die typisch ostslawisch weißfarbig ist, doch hohen klanglichen Reiz besitzt.

Plastisch und plausibel: Sangeslust, Inszenierungsfrust

Nicht weniger schüchtern scheint Ferdinand, Jeromes Sohn, von Andrey Zhilikhovsky (Hose weit über Bauchnabelhöhe festgeschnallt, zitronengelbes Hemd, Hornbrille) mit schwärzlich schallstarker, sozusagen granitfester Baritonkraft gesungen. Äußerst formidabel auch Anna Goryachova mit selbstbewusst leuchtendem Mezzosopran als an Ferdinands Liebe zweifelnde Clara. Diese Clara ist eine elegante Person, die aus vermeintlichem Liebesverdruss ins Kloster geht, bis ein Wutanfall sie ins Reich der Liebenden zurückholt.

Die Verlobung im Kloster Staatsoper Berlin 2019 groß

Die Affinität der Sänger zum Russischen ist überhaupt ein Pluspunkt dieser Produktion. Das idiomatische Singen stärkt das Profil der Bühnenfiguren ungemein. Es ist, als gewännen sie mit jeder Silbe noch an lebendigem Relief und feiner Kontur.

Nur Stephan Rügamer fällt als hart deklamierender Papa Jerome etwas heraus, macht dies aber durch charaktertenorale Wendigkeit des Vortrags wett. Die Amme („Duenna“) Luisas verkörpert Violeta Urmana (uneitles Carmen-Negligé) mit mächtig brodelndem Mezzosopran, heiß wie ein Borschtschtopf kurz vorm Überkochen und drohend wie eine Planierraupe. Es gibt Viertelstunden, da hält Urmana die ganze Oper mit ihrer Stimme in Atem. Auch der sympathische, windige Mendoza Goran Jurić (flattriges Blumen-Shirt) agiert mit üppiger Baritonkehle. Das Sammelsurium der schrägen Typen wird vom baritonal bärenstarken Carlos (Lauri Vasar, im stilvollen Goldkittel) und dem köstlich gelangweilten Moderator (Maxim Paster) vervollständigt.

Sängerisch und musikalisch ist das gleich beeindruckend. Daniel Barenboim präsentiert eine Staatskapelle auf Zack. Die Wärme der Celli, die Präsenz der Holzbläser, die strenge Plausibilität der Höhepunkte, die Verführungskraft des Klangstroms, das klingt, als spielte die Staatskapelle seit Jahren und Jahrzehnten nichts als Verlobung im Kloster.

Fazit: Die Inszenierung ist nicht wertlos, verlangt dem Zuschauer aber guten Willen ab. Die Sänger sind selbst für Berliner Verhältnisse außergewöhnlich, die Oper selbst ist in der Tat eine Entdeckung.

Fotos: Ruth und Martin Walz

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