Die Bayreuther Premiere 2016.

Ich höre live auf BR-Klassik.

Uwe Eric Laufenberg inszeniert Parsifal. Hier kurz die Eckpunkte.

Akt 1: Gurnemanz ist ein strengsanfter Öko-Fundi in syrischer Diaspora.
Akt 2: Klingsors Zauberschloss ist ein Harem voller fescher Burkamädls.
Akt 3: Kundry hievt Gurnemanz in den Rolli, zuletzt herrscht reuelose All-Versöhnung.

Laufenbergs Parsifal-Premiere hat ein Problem. Billiges steht neben Gutem. Wagner-Trash neben Zukunftsfähigem, Bedenkenswertem.

Laufenberg bietet Regietheater reinster – fast will man sagen: mutwillig reinster – Couleur. Das mutet mitunter an wie das Ergebnis einer Brainstorming-Session zum Thema „Was fällt euch unter Bezug zur aktuellen Weltlage zu Parsifal ein?“ Parsifal stapft als GI auf die Bühne. Klingsors Blumenmädchen bevölkern einen Harem, dessen optische Ausgestaltung Monsieur Ingres alle Ehre gemacht hätte. Amfortas posiert als IS-Geisel. Szenische Ungeschicklichkeiten überraschen: Wie Klingsor zu Ende des zweiten Aufzuges Parsifal den Speer geradezu in die Hände drückt – so tölpelhaft hat man das selten gesehen. Billig. Die Filmshows, die beide Verwandlungsmusiken optisch unterfüttern, dürften in Zukunft die Referenz dafür sein, wie blödbeknackt man Musik verbildlichen kann (Gérard Naziri). Billig.

Laufenberg lässt nichts aus: Dildo-Kreuze und Blumenmädchen, die hurtig von der Burka zum Bikini wechseln (Kostüme Jessica Karge), säumen Parsifals Weg zur „Welthellsichtigkeit“. Der Luxus-Pool, in dem Amfortas im ersten Akt seine Wunde wässert, mutiert flugs zum Weihetisch der Gralsenthüllung. Motto: Zum Altar wird hier die Badewanne.

Man kann das für Mist halten. Aber in der Wahllosigkeit der Mittel ist das beeindruckend.

Denn Laufenberg rafft sich auf. Zieht Fäden zusammen. Der U-Turn Laufenbergs passiert im dritten Akt. Und wer während der Filmsequenz zur zweiten Verwandlungsmusik nicht den ästhetischen Gehirntod gestorben ist, erlebt als Zuschauer einiges Erfreuliches. Denn wie da eine Babuschka-Kundry – strähnig ergraut – dem Gurnemanz in den Rollstuhl hilft und dann mit tattriger Alkoholiker-Pranke auf ihrem Stühlchen sitzt, und wenig später auch noch den versifften Kühlschrank wienert, das ist gut erfunden. Auch der Kitsch des Karfreitagszaubers unter ausgiebiger Regenwalddusche hat seine Triftigkeit. Und hinten planschen die nackigen Zaubermädls. Die Utopie des Parsifal als Nudisten-Ringelpiez. Es gab schon vordergründigere und vor allem uncharmantere Parsifal-Deutungen.

Noch eine Beobachtung kann man machen. In Laufenbergs Parsifal steckt Religions-Ernst. Die Enthüllung des Grals als bluttriefendes Abbild der Kreuzigung Jesu zu geben, scheint bei Laufenberg mehr zu sein als schnöder Theaterbluff. Und so ernsthaft wurde schon lange kein Messwein mehr auf Opernbühnen gesüffelt. Kurzum: Die Finalszenen des ersten und dritten Aktes verbreiten bierernstes Gottesdienst-Flair. Bei Parsifal auf die katholische Tube drücken – das mag einem mitunter vorkommen wie das Philosophieren mit dem Holzhammer. Doch Laufenberg schafft’s, die utopische Versöhnung der Weltreligionen eben nicht nur alles billiges Gimmick des Schlusstableaus erscheinen zu lassen, wo Kippaträger und Buddha-Fans ihre religiösen Kriegsbeile im Sarg des Titurel begraben.

Doch es bleibt dabei. Der neue Bayreuther Parsifal bietet ein krudes Nebeneinander von überreifem Regietheater-Käse und der frischen Luft eines neuen Blicks auf Wagners Alterswerk.

Zu den Sängern.

Der Gurnemanz des Georg Zeppenfeld beherrscht als klapperdürrer Öko-Nerd Laufenbergs bürgerbekriegtes Gral-Country. Es ist eine Freude, Zeppenfeld seine Hippster-Brille hochschieben zu sehen. Zeppenfelds beeindruckendes Rollenporträt baut nicht auf vokale Grandeur, nicht auf strömendes Wagner-Parlando. Eine gewisse spröde Kantabilität ist vielmehr Zeppenfelds Kennzeichen. Anfangs wirkt das Volumen bei Forte-Ausbrüchen über dem System gar markiert. Doch die Phrasierung ist vorbildlich, Zeppenfeld dynamischer Abstufungszauber wirkt texterhellend im besten Sinne. Ein Rollenporträt, das auch deklamatorisch von allererste Güte ist.

Amfortas Ryan McKinny präsentiert gekonnt seinen makellos gewölbten Brustkorb. Dass McKinny einen Jesus in Windeln darstellt, der sich hart an der Grenze zur Lächerlichkeit bewegt, hört man Kinnys engagiertem, zum Gaumigen tendierendem Singen jedenfalls nicht an. Gut, doch nicht sehr gut sind Aussprache, Deklamation und Phrasierung. Karl-Heinz Lehner ist ein genau und wirkungsvoll singender Titurel.

Klaus Florian Vogt ist als Parsifal weithin bekannt. In Bayreuth verfolgt man nun interessiert, wie Vogt vom Öko-Hippster im Strickpulli zum strumpfmaskierten Wüsten-Fighter mutiert. Vogt singt vorbildlich verständlich. Seine Höhe besitzt ja inzwischen metallischen Unterboden. Damit setzt Vogt die tenoralen Spitzen unter Bedeutungs-Druck. Vogts Mittellage ist eher neutral, farbarm und hell. Rhetorische Wucht sucht man vergebens. Bleibt Vogt so den Ausbrüchen des 2. Aktes Leidenschaft schuldig, so gelingt die Schlussszene des 3. Aktes großartig. Für solche Stellen wurde Vogt scheinbar von einem günstigen Schicksal auf die Welt gesetzt.

Der unverwüstliche Gerd Grochowski gibt den Klingsor in edlem Grau. Dieser Klingsor ist ein Technokrat der Sünde, dessen Kommandozentrale ein Devotionalienhandel ist. Ist das logisch? Egal. Grochowskis rau-feinkörniger Bariton ist mit den Jahren noch metallischer geworden. Rhetorisch sehr engagiert.

Elena Pankratova singt Kundry mit Emphase und runder, warmer Stimme. Kundrys „Klagegeheul, von größter Heftigkeit bis zu bangem Wimmern“ – so Wagner – höre ich in gebührendem Realismus. Die Tiefe der Pankratova klingt slawisch guttural („fort, fort, in’s Bood“), im Forte und in der Höhe schleift sich die Prägnanz der Diktion ab. Es ist eine melodiös konzeptionierte Kundry, weniger eine der sprechenden Gesten; Spitzentöne werden kaum hochdramatisch zugespitzt. Das ist sehr schön für die Ohren, besonders, was den exquisit kolorierten Plüsch ihrer mittleren Lage angeht – es ist aber keine Kundry einer vertieften Text-Ausdeutung. Den dritten Akt erspielt sich Frau Pankratova mit bewundernswertem Gelingen  (der Kühlschrank, die Alkohol-Fingerchen…).

Die Gralsritter singen Tansel Akzeybek („Der König grüßte ihn als gutes Zeichen“) und Timo Riihonen (flauschig bassig). Die Knappen werden von Alexandra Steiner („Ihn frischt das Bad“), Mareike Morr („Dem Balsam wich das Weh“), Charles Kim (fest und hell) und Stefan Heibach (voll und präsent) verkörpert. Sie lassen sich sogar zu unschuldigem Schäkereien hinreißen. Die Zaubermädchen Anna Siminska, Katharina Persicke, Mareike Morr, Alexandra Steiner, Bele Kumberger, Ingeborg Gillebo bilden ein vokal äußerst reizvolles Kampfgeschwader. Das Altsolo singt Wiebke Lehmkuhl. Die Chöre klingen mir im ersten Akt zu weich und hätten straffere Lenkung vertragen.

Hartmut Haenchen dirigiert. Haenchen verzichtet auf den Sog der unendlichen Melodie. Ihm geht es um Verdeutlichung der Linien, um Klarheit der Abläufe. Haenchen unterbindet Sfumato, den Eros des unendlichen Klangs. Akzente klingen didaktisch klar gesetzt. Das klingt dann in den Verwandlungsmusiken oder dem Finale von Akt eins auf männliche Weise sachlich, aber auch gefühlvoll, denn weich gerundet. Es gibt Koordinationsprobleme im Vorspiel zum ersten Akt (Streicher). Haenchens Parsifal-Tempo ist von der rascheren Art, doch wahrt Haenchen Ruhe, Überblick und Logik.

Nicht alles gelingt: Das Vorspiel zum 2. Akt hört sich nach gut komponierter Musik an, nicht nach einem überaus genialen Fetzen Musik – im Idealfall klingt’s nach beidem. Die klanglichen Kulminationen der Gralsszenen neigen zu hölzernem Poltern – die gesamte erste Verwandlungsmusik hat darunter hörbar zu leiden. Laut liegt Haenchen weniger als Leise: Das Vorspiel zum 3. Akt überzeugt im zart ausbalancierten, vierstimmigen Streichersatz des Beginns. Im dritten Akt kommt Haenchen zu sich. Das tönt gelöst wie selten. Hier endlich ist es ein großes Parsifal-Dirigat.

Sänger, Dirigent und Orchester werden lebhaft beklatscht, wie stets in Bayreuth. Zeppenfeld ist Applauskönig. Das Regieteam um Uwe Eric Laufenberg kommt glimpflich davon. Fünf, sechs Buhs, das war’s.

Das Video zum Nachhören auf BR-Klassik.

Weitere Kritiken der Bayreuther Parsifalpremiere:
Bayreuther Festspiele: Parsifal-Kritik – ungekürzt (Die Welt)
Parsifal bei den Bayreuther Festspielen (der Freitag)
2016 – Odyssee im Weltraum (Stuttgarter Nachrichten)