Drögere Musikwochen waren nie als jene sechs seit dem Jahreswechsel. RSB und die Opern schweigen Corona-beredet. Das DSO produziert immerhin einen Konzertfilm mit 20 Minuten Musik. Neben den Philharmonikern (2 x) bringen nur Ultraschall Berlin und im Boulezsaal die Schubert-Woche Abwechslung. Fern von Berlin ist die Zurückhaltung weniger streng. Barenboim tritt in Salzburg auf, im Duo und dirigierenderweise. Ticciati dirigiert am 5. 2. in München, Eschenbach am 4. 2. in Frankfurt. Und die Solo-Oboistin der Staatskapelle, Cristina Gómez Godoy, fährt nach Hamburg, um dort ein kleines, feines Programm zu geben. Wo bist du, Berlin? Doch am zweiten Februarwochenende feuern die Berliner Orchester wie gewohnt aus allen Rohren. RSB, DSO, Philharmoniker, dazu Staatsopernpremiere – (fast) alle sind dabei.
Als erstes wagt sich am 12. 2. das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin mit einem Radiokonzert aus der Deckung (Deutschlandfunk Kultur). Mit einem kleinbesetzten, nur etwas grämlich wirkenden Abend. Zuerst Tschaikowskys reizvoll elegische Streicherserenade C-Dur, sodann von Schostakowitsch/Barschai die Kammersinfonie op. 83a. Wassili Petrenko (Liverpool Philharmonie Orchestra) leitet breit bei Tschaikowsky und flott bei Schostakowitsch. Aber irgendwie hat man sich die Wiederauferstehung aus den Tiefen der Pandemie anders vorgestellt. Die nächsten Termine versprechen mehr Effekt: Repušić kommt und bringt den Kroaten Papandopulo mit, dazu Haydn und Respighi, und dann spitzklöppelt die Pianistin Anna Winnitzkaja die beiden Schostakowitsch-Konzerte in die Tasten. Hier Nachhören!
Im Rahmen eines „Online-Festivals“ spielen die Berliner Philharmoniker zwei Wochen lang „Goldene Zwanziger“ – ein kräftiger Schluck Berlin-Nostalgie ist in diesen Zeiten erlaubt. Vorgesehen war eigentlich die ambitionierte Bezeichnung „Biennale“. Drei Orchesterkonzerte (Schwerpunkt Weill) sind angesetzt, dazu kommt ein Abend mit der Karajan-Akademie (Eisler, Weill), bevor ein Late-Night-Abend das Festival abrundet. Am Samstag stehen Weills 1. Sinfonie – zum ersten Mal – und Strawinskys karger Oedipus Rex auf dem Programm. Das Weill-Frühwerk – ein Jugendstreich, komponiert mit 21 – klingt wie aus einem Guss, gerade weil es sich stürmisch nach der großen Form reckt. Fast Ritornell-artig kehrt das Motto der Grave-Einleitung (breit und wuchtig) wieder, bis das Orchester es, nach Choral-Tönen, schlussendlich zu dreifachem Forte aufschichtet (Grave. Mit höchstem Aufschwung). Dabei fließt dieser Weill unter Kirill Petrenko hochkultiviert. Dabei verbandelt das Orchester die drei Abschnitte mit viel Klang- und Formsinn zu aufregender Einsätzigkeit. Das ist symphonisch gespannte Musik, erfrischend unfertig und leidenschaftlich brennend. Parellelen zu Kreneks 1. und Prokofjews 2. Sinfonie bestehen.

Ein Experimentierfeld der Moderne ist auch Oedipus Rex von Strawinsky, wo die Neu-Antike für strenge Kanalisierung der Gefühle sorgt. Aber ich wechsle um kurz nach 8 flugs zu Rattle an die Staatsoper, wo Janáček den Gefühlen freien Lauf lässt.
Echt spitze ist das Radiokonzert des Deutschen Symphonie-Orchesters am Sonntag (RBB). Haydns generöse Sinfonie 104, Widmanns 1. Violinkonzert, und vorneweg eine Viertelstunde Orchester-Improvisation, mittlerweile eine Spezialität unter Robin Ticciati. 14 Musiker ohne Dirigent, Ticciati steht laut Moderatorinnenauskunft an der Trommel. Es klingt schauderhaft. Man versteht umgehend, zu was ein Komponist da ist. Aber das sind faszinierende Experimente. Und die Improvisationen im dritten Konzertfilm (in der ehemaligen Hundefutterfabrik, der mit Musik von Adámek) fesselten. Also: gerne weitermachen. Weiter zu Jörg Widmann. Der gilt innerhalb der Neue-Musik-Gefolgschaft als unsicherer Kantonist. Doch was zählt schon der Begriff „Neo-Romantik“ – Glenn Gould benutzte die Umschreibung bekanntermaßen für Alban Berg, dessen Konzert wiederum Vorbild für Widmanns Werk ist -, wenn sicherstes Klanggefühl, Weiträumigkeit, verwickelte lyrische Passagen so gekonnt verschmelzen wie im Violinkonzert Nr. 1 (2007)? Sicherlich, der Ton entstammt spätromantischem Fundus. Aber dafür verschmilzt die Linie raffiniertissimo mit dem Orchester. Außerdem hat Christian Tetzlaff, auch Solist der Uraufführung, das Werk rund 40 Mal gespielt, gestaltet aus einem Atem, vermittelt den Eindruck einer kontinuierlich fließenden Entwicklung, und das, ohne an Detailintensität zu sparen. Mittlerweile habe ich ein Ohr für Widmann. Aus dem Bauch raus würde ich sagen, dass Ticciati sehr gut leitet.
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