Deutschland zieht den Kultur-Stecker. Wieder geht in Konzert und Oper das Licht aus. Für wie lange? Das weiß selbst das Virus vermutlich nicht so genau, geschweige denn der Kultur-Senator. Eine seltsame Stimmung zwischen fatalistisch und aufgekratzt liegt über den letzten Konzerten in Berlin.
RSB und DSO spielen wie auf Absprache Programme zum Zungeschnalzen, binnen 24 Stunden, das DSO in der Philharmonie, das RSB im Konzerthaus.
Insbesondere das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin macht aus der Corona-Not eine Programm-Tugend, präsentiert ein kaum so für möglich gehaltenes Programm, das vermutlich nur ein Vladimir Jurowski ausdenken kann. Das Thema: neu-alte Werk-Spiegelungen, respektvoll-selbstbewusste Neu-Einhegungen von Älterem. Die 14 Kanons aus den Goldbergvariationen von Bach, für Kammerorchester gesetzt von Friedrich Goldmann, uraufgeführt in der Akademie der Künste in Berlin-Ost 1978, sind dabei auch eine Verbeugung vor der Berliner Geschichte. So gemächlich intonieren die Hörner ihre Fundamentalnoten, so liebevoll ironisch führen die Celli ihre Glissandi aus, so keck agieren die Bläser, dass sich die Kanons zu einer behutsam aufpolierten Tour d’horizon durch das berühmte Bach’sche Werk runden.

Als Ersatz für das ursprünglich angesetzte Violinkonzert von Edison Denisow dann fünf von Paganinis Capricen in Denisows ironisch-spiegelfechterischer Fassung für Streichorchester und anschließend Bachs Choralvorspiel Ich ruf zu dir BWV 639 in der Bearbeitung von Anders Hillborg. Den Violinpart spielt jeweils Fedor Rudin, der die Capricen nervös beginnt, dann bedächtig, kontrolliert die Doppelgriffstudie No. 9 La Chasse angeht sowie die berühmte No. 24 ganz als Geiger von Format hinlegt. Keine Stücke sind das, um selbstverliebt zu glänzen, eher introvertierte, hochinteressante Piècen für Klang-Genießer.
Am Ende ent- und verzückt das total unbekannte Divertimento nach Couperin op 86 von Richard Strauss, dieses rätselhaft optimistische Gegenwelten-Werk – die Uraufführung datiert vom Januar 1943, Wien. Wie Konfetti wirft das Orchester Bläserfarben und Rokoko-Linien in den Saal. So tönt eine zeitlos zärtliche Musik. Man braucht nur den pastoralen Tonlagen lauschen. Ich dachte immer, ich wäre neben Thielemann der einzige Fan der Instrumentalmusik des späten Strauss innerhalb der westlichen Hemisphäre. Jetzt weiß ich, wir sind zu dritt, Herr Jurowski (Glenn Gould gehört eigentlich auch dazu).
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