Da heute weder Tosca an der Staatsoper noch Bohème an der Bismarckstraße laufen, gönne ich mir einen netten Livestream aus dem BKA-Theater. Es spielt das Ensemble LUX:NM: fünf kürzere Stücke plus nettes Gequassel von Silke Lange (Akkordeon) und Ruth Velten (Saxophon). Die restliche LUX:NM-Besetzung umfasst: Posaune, Cello, Klavier, Elektronik.
Die Südkoreanerin Gitbi Kwon (Jahrgang 1992) sagte mir bisher gar nichts. In dem schmalen Werkchen (dreieinhalb Minuten) für Posaune Solo mit im Dämpfer versteckten Zuspiel – Titel: Zweisam (2021) – schmieren die Linien so schön entspannt ab, und die Stimmkreuzungen haben alle Zeit der Welt. Ich weiß gar nicht, ob da viel dran ist. Ich finds schön. Tontrübungen und Timbreheiserkeit sorgen für das Salz in der Posaunen-Suppe. Florian Juncker am Instrument.
Zwei Mal Unerhörte Musik, jeweils per Livestream. Gestern ein Trompeten-Soloabend, letzte Woche ein Klarinetten-Fagott-Duo.
Der serbische, seit 2005 in Berlin lebende Trompeter Damir Bacikin ist nicht zuletzt von den 21-Uhr-Konzerten des Ensemble unitedberlin im Konzerthaus bekannt. Heute spielt er im Kreuzberger BKA-Theater. Zuerst, in Sevdah of Berlin, das von hektischer Atemakrobatik geprägt ist, ist Bacikin sogar als Solist in eigener Sache unterwegs. Dann streikt mein Router. Als die Leitung wieder steht, höre ich schwelgerisches Trompeten-Melos (ist das Predah des Italieners Luca Lombardi?), gefolgt von klug introvertierter Trompetenmusik (Chronesthesia von Gabriel Santander?). Bei Eres HolzMACH (2012) bin ich wieder voll konzentriert. Streng linear die Gestik. Das Stück ist klar und deutlich hörbar und entzieht sich doch schnellem Verständnis. Von Bacikin gestochen scharf dargeboten, erweist das karg, doch sicher beseelte Stück für mich erneut seine Lebensfähigkeit – ich höre es zum zweiten Mal nach Ultraschall 2018. Gewissermaßen das Gegenteil von MACH stellt Invocation dar (2021). Komponiert hat das die Russin Alexandra Filonenko. Und die geht hier spielerisch vor. Filonenko strickt Bläseraktionen zu einem episodisch lockeren Gesten-Patchwork zusammen. Das Bacikin virtuos entflammt.
Zum Werk von Ying Wang habe ich noch nicht den rechten Draht gefunden. Ihr Stück Plus-Noctilucen (2021) schnurrt wie ein verwöhnter Kater, sobald Bacikins Linke mit professioneller Zärtlichkeit den Schalldämpfer tätschelt. Dazu liefert eine diskrete Elektronik Hallkonturen. Worauf sich Bacikin in dem eigenen Stück EARWORM! mächtig ins Zeug legt (2020). Das ist ein kurzer, reichhaltiger Abend bei Unerhörter Musik. Und ist wie immer auf Youtube nachzuhören (der eigentliche Stream startet nach ca. zehn Minuten).
Ultraschall Berlin geht weiter. Ab ins Konzert III. Es wird vom Ensemble ascolta bestritten. Teil 3 des Ultraschall-Samstags bündelt Neue Musik von Newcomern, jüngeren Arrivierten und Altmeistern. Neue-Musik-Spezi Michael Wendeberg leitet.
TIC (2016) von BIRKE JASMIN BERTELSMEIER ist locker und flockig wie vieles aus der Feder der Nordrheinwestfälin. Bertelsmeier liebt das Offene. Die Strukturen sind leicht, fluktuieren, verästeln sich motivisch, ohne leicht zu wiegen. Der Klang ist farbig. Der Zugriff ist spielerisch. Das hinter der Komposition stehende Thema Tod wirkt angesichts der lockeren Faktur fast parodistisch. Dem formidablen Bass Andreas Fischer hört man die schwäbische Herkunft in fast jeder Silbe an. Die ariosen Einschübe zeigen Wozzeck-Melos.
Birke Bertelsmeier, Ensemble ascolta
Gar nicht so unähnlich gebärdet sich ERES HOLZ‘ locker gefügtes MACH (2011) für Trompete solo, das Markus Schwind geradlinig entfaltet. Schwinds Trompetenklang ist haptisch, klar und schartig. Die Virtuosität ist zugunsten motivischer Konzentration eingedämmt und lebt u.a. von Echowirkungen. Der Redegestus ist sachlich beschwörend, so wie in Schakalkopf des gleichen Komponisten der beruhigte Spätstil Schönbergs geheimnisvoll weiterlebt. Kurz: MACH ist sehr hörenswert.