Die Berliner Philharmoniker spielen in einem außergewöhnlichen Konzert Schulhoff, Sinigaglia und Zemlinsky und lassen so diesen Komponisten beziehungsreich Gerechtigkeit widerfahren. Deren Rezeptionslinien brachen spätestens in den 40ern ab, so dass von dem Prager Schulhoff bei den Berlinern nun erstmals überhaupt dessen zweite Sinfonie und – teils nach über 100-jähriger Pause – von dem Turiner Sinigaglia zwei kurze Violin-Opera wieder erklingen.

Petrenko dirigiert.

Die Ecksätze der Sinfonie Nr. 2 von Erwin Schulhoff lassen die Berliner Musiker höchsteffizient und sehnig vibrierend vom Podium rollen. Die Binnensätze klingen zu nett. Edel tönen im Scherzo Jazztrompete und Saxofon. Eigentlich klingen auch die Ecksätze zu nett. Kann man das nicht kaltblütig und hitzig aufdrehen?

Ich höre über Deutschlandfunk Kultur.

Echtes Repertoireniemandsland betritt das Publikum mit der Romanze op. 29 von Sinigaglia. Noah Bendix-Balgley ruft das Werk mit auf sanften Orchesterwellen tänzelndem Ton in die Gegenwart. Das klingt lyrisch leicht und macht helle Freude, während die schwelgerische Geigenlinie vom musikalischen Jugendstil kündet. Was da zu Geigern wie den frischgebackenen Berlindebütanten Hadelich oder Chooi fehlt, ist etwa herrisches Solisten-Temperament. Bendix hat Wärme, Phrasierung, fließendes Legato. Einfach wunderschön, dass Bendix-Bagley das an diesem Ort spielt.

Freundliches Virtuosenfutter bietet sodann Sinigaglias Rapsodia piemontese, hier kerniges Folklorethema, dort kontrastierender Mittelteil, in dem scheue Lyrik spricht. Ein Sinigagliakammerstück gab es übrigens unlängst im DSO-Kammerkonzert mit Reinhold Messner. Verzichtet man am Herbert-von-Karajan-Platz in einer der nächsten Saisons auf eine Brucknersinfonie und programmiert stattdessen das Violinkonzert des Turiner Komponisten?

Stichwort Zemlinsky. Von Tagore-Texten begeistert erweist sich die Lyrische Symphonie. Christian Gerhaher singt mit bekennerischem Elan. Ich bin ruhelos, ruft er in das weite Weinbergrund. Der Präzeptor-Ton Fischer-Dieskaus ist nicht weit. Lise Davidsen trägt etwas deklamationsfaul vor, ist aber Inhaberin eines Soprans, der intensiv und gertenschlank projiziert, und verblüfft mit irren Sprüngen in Nummer 4. Tagores Verzückungslyrik ist aber harte Kost. So viel Ekstase strengt an. Freilich dirigiert Kirill Petrenko die Partitur mit skrupulöser Fantasie, mal zärtlich insistierendes Liniengeflecht, mal messerscharf explodierendes Feuerwerk. Kein Klangsuff, einfach nur wunderbar klangsüffig.

Eines der besten Programme der Saison.


Weitere Philharmoniker-Kritik zum Konzert: „Umjubelter Lauf“ (Sybill Mahlke), „Voller Wärme“ (Andreas Göbel)