Von den hierzulande unbekannteren italienischen Opern ist Adriana Lecouvreur eine der bekanntesten, und das zurecht. Üppige Gesangslinien, ein nicht enden wollender Arien-Reigen, die Farbpalette des Orchesters und nicht zuletzt die fesselnde Titelfigur – die 1902 uraufgeführte Adriana ist allerfeinste italienische Opernware.

Da macht es auch nichts, dass die Oper gegenüber den zeitgleichen Puccini-Welterfolgen um eine Nuance plüschiger wirkt und die Rolle des Maurizio seltsam unscharf bleibt (liebt er Adriana wirklich so wie sie ihn?). Immerhin aber bietet das Libretto mit dem alternden, unglücklich verliebten direttore di scena Michonnet eine zu Herzen gehende Nebenfigur. Anders als bei Francesco Cileas blutleerer Oper L’Arlesiana, die die Deutsche Oper vor gut einem Jahr konzertant zeigte, ist es bei dem rassigen Plot von Adriana Lecouvreur also schade, dass man keine szenische Umsetzung wagte.

Zu Anna Netrebko.

Für ihre voluminöse Gurgel ist die Adriana derzeit der ideale Opern-Happen. Die morbidezza der Arien, aber auch die niedrige Tessitura (kein hohes c) kommen ihr entgegen. Die Pariser Schauspielerin Adrienne Lecouvreur gab es wirklich, vielleicht wurde sie sogar von einer Rivalin vergiftet. Netrebko spielt mit gestischem Aplomb und rezitiert die Sprechstellen mit Pathos. Das wirkt altmodisch, bringt aber erst das brodelnde Leben in diese Frauenfigur. Die Arie Io son l’umile ancella ist ein Juwel. Die Stimme folgt der Legato-Linie mit ihrer schweren sonoren, dunklen Pracht, die düster verschatteten Vokale der unteren Lage wandeln sich in der Höhe zu durchdringenden Soprantönen.

Sicher, ihr Ton benötigt ab und an ein Momentchen, um auf die korrekte Höhe einzuschwingen.

A Netrebko Deutsche Oper (4) klein

Und bei lauten Spitzentönen – eigentlich bei allen lauten Tönen über dem System – scheint sich Netrebkos Stimme nicht (mehr) ganz wohl zu fühlen. Dennoch ist ihre Darbietung eine Offenbarung. Stimme, Bravura, Ausstrahlung passen zu dieser temperamentvollen Dixhuitième-Heldin wie der Deckel auf den Topf. Auch die romanza Poveri fiori im 4. Akt wird durch Färbungen, unentwegten Ausdruck, gewagte Dynamik, bravurös bewältigte Oktavsprünge (4 an der Zahl) zu großer Kunst weitab von jeglicher äußerlicher Perfektion. Kritik und Klagen wegen angeblich fehlender Innerlichkeit kann ich angesichts der bärenstarken Leistung nicht nachvollziehen.

Drei Kleider präsentiert Netrebko. Mit der Farbfolge – hoffnungsvolles Grün mit einem Schuss Türkis, leidenschaftlich flammendes Rot-Orange, düsteres Schwarz – beweist Frau Netrebko tieferes Verständnis für die Handlungskurve der Oper.

Als Adrianas tödlich gekränkte Gegenspielerin läuft die Fürstin von Olesya Petrova zu großer Form auf. Ihr durchsetzungsstarker Mezzo ist eine gute Wahl, um den fulminanten Zickenkrieg der Akte 2 und 3 auf Betriebstemperatur zu bringen. Der junge Patrick Guetti – ein neues Ensemblemitglied – bewährt sich als ein Fürst Bouillon mit erstaunlich vollsaftiger Bassstimme. Yusif Eyvazov hatte ich besser in Erinnerung (als Cavaradossi und Manrico). Ja, Eyvazov hat gute Momente, insbesondere in den Arien im 1. und 2. Akt (La dolcissima effigie, L’anima ho stanca, es gibt eine ganze Reihe schmelzend schöner Tenorarien), doch der Stimme fehlt an diesem Abend weitgehend jegliche besondere Tonqualität. Doch ist bei Eyvazov immerhin Leidenschaft da, und was das recht tadellose Phrasieren angeht, hat Eyvazov offenbar an sich gearbeitet. Den Abbé gibt Burkhard Ulrich als feine Charakterstudie, und auch der Regisseur Michonnet von Altmeister Alessandro Corbelli ist unbedingt eine Bereicherung.

Ausgezeichnet schlagen sich Vlada Borovko (Jouvenot) und Aigul Akhmetshina (Dangeville) als lebenslustige Mademoiselles mit kraftvollen Stimmen voll spontanen Ausdrucks. Die beiden würde ich auch gerne solo hören. Bleiben nur noch Padraic Rowan (Quinault) und Ya-Chung Huang (Poisson), die mit den vorgenannten Damen quirlige Parlando-Quartette bilden.

Vom Orchester der Deutschen Oper unter Michelangelo Mazza kommt eine lebhafte, detailfreudige, auch pikant zuspitzende Interpretation. In punkto Feuer kommt das Orchester nicht an Netrebko heran, doch die Sorgfalt der Wiedergabe übertrifft so ziemlich alles, was man an der Bismarckstraße sonst bei italienischer Oper aus dem Graben zu hören bekommt.

Die abschließende Kritik lautet: Das war für mich die bei weitem befriedigendste Opernaufführung mit Anna Netrebko, die ich gehört habe.

Viel Applaus und jede Menge glückliche Gesichter auf der Bühne und im Publikum.

A Netrebko Deutsche Oper (1) klein