Und ewig singen die Wälsungen.

Zumindest solange Plácido Domingo Die Walküre dirigiert. Kaum etwas in der Musik ist dem einstigen Tenor-Tausendsassa ja fremd. So machen die Bayreuther Festspiele möglich, was  vor Kurzem unmöglich schien: Castorfs Öl-Drama geht in sein sechstes, aber mit einiger Wahrscheinlichkeit nun wirklich allerletztes Jahr.

Was stellt Plácido Domingo im Bayreuther Graben an? Das Resultat ist zwiespältig. Der Reihe nach. Domingos Dirigat ist eine Reise zu nie gehörten Wagnerklängen.

Die Streicher in der ersten Szene singen Sieglinde-, Liebes- und Geschwisterliebemotiv so sehnsüchtig-süffig, dehnen sich in bedeutungsvollen Rubati, dass man denkt, warum zum Teufel sind nicht alle Menschen Wagnerianer? Und zu welchem Wagner-Legato werden das Wälsungepaar Kampe und Gould so gezwungen! Das ist schon sehr hörenswert. Das Tempo freilich ist dösig gedrosselt. Da wachsen die Zweifel. Kurz darauf raufe ich mir die Haare. Dramatischen Akzenten fehlen Fassung und Härte. Das Hundingmotiv: matschig. Geht’s zur Sache, klingt das Orchester rumpelig, Señor Domingo liebt den Akzent auf der Eins. Das ist simpel, das Orchester spielt halt einfach weiter. Passagen dramatisch durchzuformen hat der Gott der Musik ihm nicht mitgegeben, das gilt für das Gewittervorspiel des 1. Aufzugs, es gilt für Leitmotivzusammenhänge, die Domingo weichkocht wie Spaghetti bolognese. So wird die brünstige Minne schnell zur feuchten Sauce.

Kein süßes Wälsungen-Mädl

Und gnädig überhöre ich, wie Domingo Leitmotive allzu naiv in Szene setzt, wie Orchestererregung pauschal dahertönt. Halt! Nicht immer. Der Eingang der Siegmund-Sieglinde-Szene im 2. Aufzug ist ausdrucksstark (Ausdrucksstärke fehlte Janowski 2016 und 2017, doch die Walküre war Janowskis schwächster Tetralogietag). Die Todesverkündigung hat Größe, Wotans Abschied serviert das Orchester butterweich, aber der klingt ja immer schön. Loges Feuerzauber klingt ähnlich uncharmant wie weiland unter Janowski. Das Dirigat von Herrn Domingo ist in der Qualität so schwankend, dass man nicht anders als fasziniert sein kann. Wer motzen will, kann motzen. Wer bewundern will, kann bewundern. So dirigieren nur geniale Zwanzigjährige oder ehrgeizige Achzigjährige.

Als Siegmund stürzt sich Stephen Gould mit anglophon-hellem Timbre in’s Wälsungen-Abenteuer. Gould singt verlässlich, lyrisch überzeugend, mühelos heldentenoral. Er ist und bleibt einer der großen Wagnertenöre unserer Tage. Desto drängender wird man sich der Defizite bewusst. Spontaneität? Gleich null. In Winterstürme köchelt die Liebesglut auf Sparflamme. Das düstere Pathos des Ausgegrenzten ruft Gould nicht ab, auch bei Nächtiges Dunkel deckte mein Aug‘ findet er nicht den Klang. Doch für die Todesverkündigung hat er die verschattete Melancholie. Manches klingt nach hü, manches nach hott. So dehnt sich dank Domingos Kaffeefahrt-Tempo manche Phrase endlos. Andererseits singt Gould deklamatorisch geprägte Passagen mit expressiven Drückern und Akzenten (nur von Walhall’s spröden Wonnen sprich du wahrlich mir nicht!). Problematisch ist nach wie vor das unidiomatische Singen. Gould liebt die sichere Mitte. Stephen Gould ist sicherlich kein Siegmund aus dem siebten Wagner-Himmel. Aber er ist doch unendlich mehr als tenorale Meterware.

Knurriger Machtmensch

Die verzweifelte Hausfrau Sieglinde ist bei Anja Kampe in rundum sympathischen Händen. Kampes Sopran ist wundervoll farbenreich gereift und seine Besitzerin singt vielschichtig wohlklingend. Im Winterstürme-Schwung bringt sie fast mütterliche Wärme und Liebeshitze maximal unter einen Hut (Du bist der Lenz), bezwingend ist Kampe auch in der erinnernden Vergegenwärtigung (Da er sie liebend umfing, hier ist auch Domingo groß), während sie bei hochdramatischer Musik an ihre Grenzen stößt.

Aber da kommt auch schon Hunding, der heuer von Tobias Kehrer mit ruhiger Autorität gesungen wird.  Kehrer deklamiert ohne Konsonantenspuckerei: Die Stimme strahlt wenig finstere Gefährlichkeit und keine Bosheit aus. Sein Wehwalt! Wehwalt! Steh‘ mir zum Streit, sollen dich Hunde nicht halten! im zweiten Aufzug ist fest und mächtig.

John Lundgren ist ein alter Bayreuther Bekannter. Der diesjährige Wotan ist der Besitzer einer kompakten, markant-hellen Stimme von verdrückter Höhe und glänzt gerade da, wo der Missmut am tiefsten ist. So klingt einer, wenn er sich von seiner Ehefrau über den Tisch ziehen lässt. Der gottesväterliche Grimm, wie er sich in O heilige Schmach! O schmählicher Harm! entlädt, das ist Lundgrens Metier. Wotan als Heulsuse! Dabei kann Lundgren bissig deklamieren, und insgesamt gefällt mir Lundgren besser als in den letzten Jahren. Er hat an Statur gewonnen. Wo er früher Vokalgeste an Vokalgeste reihte, entsteht heute ein vielschichtiges Porträt. Doch im 3. Akt fehlt es ihm an klanglicher Wotanwucht, wenn auch nicht an Dringlichkeit.

Ladies second.

Die bewährte Fricka von Marina Prudenskaja setzt ihren forschen Mezzo ein, um ihn wie einen Flammenwerfer wider Wotan zu führen. Dabei hilft ihr alles andere als handzahmes Vibrato. Frau Prudenskaja liest dem Ehemann hochdramatisch die Leviten, die erste Szene des zweiten Aufzugs wird zu einem flammenden Plädoyer für ehefrauliche Souveränität. So volle Pulle Prudenskaja deklamatorisch agiert, so sehr ist Textverständlichkeit ein Problem. Schwamm drüber, auch das Piano ist packend. Als Waltraute singt Simone Schröder temperamentvoll und anrührend.

In Castorfs Ring steht Catherine Foster seit 2013 als Brünnhilde ihren Mann. Die Hojotoho-Rufe der Britin klingen wie frisch aus der Jodelschule, fest, aber intonatorisch unsicher. Wie eh und je müht sich Foster im Rezitativ-geprägten Vortrag. Ich denke bei ihrer hellen, engen, bisweilen geradezu abgehärmten (So lang‘ du lebst zwäng‘ dich wohl nichts) Brünnhildenstimme immer an eine genervte Kassiererin. Foster verfügt nicht über genuines Pathos und phrasiert (wie Gould) bisweilen, als rezitierte sie Heidi in den Bergen. Doch gelingt die Todesverkündigung, finsteres Zentrum jeder Walküre, gut. Von Domingo bis an die Grenze zerdehnt, kommt doch einiges vom dunklen Drama rüber, das sich inwendig ereignet. Fosters Schokoladenseite ist die leicht ansprechende hohe Lage, die allerdings kaum textverständlich ist. Diese schwingt sie wie eine gefährliche Waffe (Der dir es schuf, beschied dir jetzt Tod) und durchdringt Wagnerwogen gleich welcher Mächtigkeit.

Am 29. August singt Greer Grimsley den Wotan.

Die Baku-Walküren setzen sich aus Marina Prudenskaja (Schwertleite, saftig), Regine Hangler (Helmwige), Mika Kaneko (Grimgerde) Alexandra Petersamer (Rossweisse, charaktervoll), Simone Schröder (Waltraute, elastisch), Mareike Morr (Siegrune), Caroline Wenborne (Gerhilde) und Christiane Kohl (Ortlinde, dünne Höhe) zusammen.

Und damit röchelt Frank Castorfs Ring zum nun wohl allerletzten Mal.

Foto: Enrico Nawrath


Weitere Kritik: Robert Jungwirth auf BR Klassik.