Silvesterkonzert Berliner Philharmoniker 2016 / Foto: facebook.com/BerlinPhil/
Schon wieder ein Jahr rum. Schon wieder ein Silvesterkonzert.
Es ändert sich ja sowieso nichts. Rattles Haupthaar wird einfach nicht weißer, und die Berliner Philharmoniker spielen noch genauso gut. Nur Trifonow wird immer noch besser. Doch davon gleich.
John Tomlinson, Eva-Maria Westbroek, Simon O’Neill
Wo liegt der Unterschied zwischen Walküre und Götterdämmerung? In der Walküre wird so manches Auge feucht, in der Götterdämmerung hauptsächlich das Sitzfleisch.
Deshalb gibt es einen opulenten ersten Walküre-Akt in der Philharmonie. Auf die Weihnachtsgans müssen die Berliner noch warten, den Weihnachtswagner bekommen sie jetzt schon.
Eva-Maria Westbroek singt eine aufgekratzte Sieglinde. Frau Westbroek verfügt über ein gesundes Vibrato, und greift auch sonst musikalisch in die Vollen: Ihr Sopran hat Wärme und ist hinreichend laut. Und sie singt mit leidenschaftlicher Eindringlichkeit. Alles vibriert an ihr. Die stimmliche Gewichtsklasse von Westbroek ist das Schwergewicht. Entsprechend expansiv phrasiert sie. Klanglich kann man von Eva-Maria Westbroeks Sieglinde nicht behaupten, sie stünde erst auf der Schwelle zur Volljährigkeit, aber das macht sie womöglich für Siegmund O’Neill umso appetitlicher. Weiterlesen →
Was machen als Regisseur mit Triumphmarschgedöns, was mit klamottigen Ägyptenanspielungen, mit Ballettgehopse (2. Akt)?
Benedikt von Peter macht an der Deutschen Oper Berlin drei Dinge: Er konzentriert sich auf die Ménage à trois Amneris-Radamès-Aida. Er kippt Papppyramiden und Triumphmarschtümelei in den Papierkorb – so weit weg von Ägypten war noch selten eine Aida. Er lässt rotieren: Die Chormusiker sitzen unter den Zuschauern. Das Orchester sitzt hinter den Sängern. Die Sänger singen hinter den Zuschauern. Weiterlesen →
Christian Thielemann steht, die Berliner Philharmoniker sitzen
Buchbinder spielt das Klavierkonzert Nr. 1 von Beethoven.
Rudolf Buchbinder trifft den ersten Satz sehr gut, den zweiten Satz hervorragend, und das Finale immer noch gut. Aber doch nicht so gut wie Allegro oder Largo. Weiterlesen →
Alle mal aufgestanden, die Damen und Herren: Barenboim und die Staatskapelle Berlin
Dieses Konzert im Konzerthaus Berlin (am Tag zuvor in der Philharmonie) beginnt mit Bedřich Smetanas Má vlast, und es endet mit Bedřich Smetanas Má vlast.
Wie immer man es betrachtet, Má vlast („Mein Vaterland“) ist ein Werk von zauberhaften melodischen Einfällen, und für den Schwung der Moldau-Melodie und das Feuer der Polka in Z českých luhů a hájů („Aus Böhmens Hain und Flur“) kann man auf einen Lohengrin verzichten. Die Bläser der Staatskapelle Berlin tragen ihr Herz auf der Zunge, und wenn die waldhonigglänzenden Streicher sich der Schilderung des tschechischen Landlebens hingeben, leuchtet der Himmel über den Äckern unseres Nachbarlandes nicht nur in lieblicher Bläue, sondern hängt auch noch voller Geigen. Weiterlesen →
Der Messiaen-Schüler, der Dutilleux-Schüler Gérard Grisey komponierte Quatre Chants pour franchir le seuil.
Holy shit, das war kein schlechtes Konzert.
Wie angenehm, Barbara Hannigan wieder zu hören. Ihr hüllenloser Sopranklang stellt Vokal für Vokal frei. Das hat Rasse und Klasse. Die vibratofrei einschwingende Höhe unterstützt die dunkle Dringlichkeit der Quatre Chants. Gleiches gilt für den stockenden Fluss der Einzelsilben. Zu den bleibenden Eindrücken zählt das sich in Timbre und Farbe dem Sopranklang Hannigans anschmiegende und ihn hart bedrängende Blech. Hannigans Können triumphiert. Weiterlesen →
Gruppenbild mit Troubadour: Susanna Phillips in L’amour de loin / Foto: Ken Howard / metopera.org
Die finnische Komponistin Kaija Saariaho hat es geschafft. Rund ein Dutzend Aufführungen hat ihre erste Oper L’amour de loin seit der Salzburger Uraufführung im Jahr 2000 hinter sich (Kent Nagano dirigierte, Dawn Upshaw sang). Und nun die Premiere an der zutiefst altmodischen Metropolitan Opera. Respekt.
Nur, was macht den Neue-Musik-Schlager so trendy? Weiterlesen →
Krischblüten vor Kostümkulisse: Annalisa Stroppa / Foto: arte.tv
Urfassung!
Von Fidelio bis Tannhäuser, von Simon Boccanegra bis Don Carlo kennt man’s: Fassung eins endete in einem Fiasko oder genügte späteren Ansprüchen nicht mehr. Eine neue Fassung musste her. Und wenn es das Schicksal ganz schlecht meinte, reichte auch die nicht. Siehe Fidelio. Überraschung! Auch Madama Butterfly litt unter einer fiaskösen Uraufführung. Und als die schon lange vergessen war, frickelte Puccini immer wieder an der „Butterfly“ herum. So gibt es nicht nur zwei, nicht nur drei, nein, es gibt viele Fassungen von Madama Butterfly. Die letzte ist von 1920. Da doktorte Schönberg schon an der „Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen“ herum. Weiterlesen →
Anna Nechaeva vor Autoschrott: Sola, perduta, abbandonata / Foto: Clärchen und Matthias Baus
Manon Lescaut, das ist die Geschichte von Schönheit und Tod, Illusion und Jugend, Sehnsucht und Elend. Der Schluss gehört zu den trostlosesten der Opernliteratur.
Es ist die Geschichte eines Menschenschicksals: vom klostergeweihten Teenager zur todgeweihten Frau. Und immer will sie händeringend das Glück festhalten, aber sie schafft’s nüscht. Die Eltern verstoßen sie. Der Bruder lotst sie ins Boudoir eines Lustmolchs. Die Justiz deportiert sie.
Puccini und seine Texter kürzen die Vorlage des Abbé Prévost rabiat und unbarmherzig. Doch so entsteht jene Oper von gnadenloser theatralischer Schlagkraft, die fortan das Markenzeichen Puccinis sein sollte. Die Brüche sind bei Puccinis erstem großen Opernerfolg nach allenthalben spürbar. Doch der Weg frei für die hemmungslose Aufrichtigkeit der Melodien.
Jürgen Flimm inszeniert
Jürgen Flimm bringt seine St.Petersburger Produktion von der Newa an die Spree. Flimm tauscht Rokoko gegen Hollywood, rupft dem Personal den Rokokowams vom Leib und steckt es in Trenchcoats und Karohosen (Es ist an der Zeit, Trenchcoats auf der Opernbühne zu verbieten. Kostüme Ursula Kudrna). Ruckelvideos zeigen stolze Ozeanriesen und hohlwangige Loser: Amerika, du altes Land der Verheißung und des Scheiterns. Das funktioniert. Das kann man ansehen. Das ist gut gemacht. Einigermaßen gut.
Es scheint einen Altersstil bei Flimm zu geben. Er ist dramaturgisch betulich und handwerklich versiert. Und Flimm hegt eine Vorliebe dafür, schwierige Sachverhalte in kreuzbrave Regieideen zu packen („Der Opa erzählt euch jetzt mal was!“).
Daraus ergibt sich eine Problemlage.
Jürgen Flimms Inszenierung verkauft Puccini unter Wert. Statt dringlicher Personenführung sieht man liebevoll ausgepinselte Tableaus, statt dramaturgischer Stringenz historische Weichzeichnung. Aber, wie gesagt, man kann’s anschauen.
Es singen: Anna Nechaeva und Riccardo Massi
Die junge Russin Anna Nechaeva singt die Titelheldin Manon Lescaut selbstbewusst und leidenschaftlich. Nechaeva zeichnet die Manon weder als schüchterne Klosteraspirantin wider Willen noch als Klunker-geile Luxusschlampe. Ihre Manon ist ein Mensch, dem die Sehnsucht nach Glück im Leibe steckt und der so jung ist, dass er nie gelernt hat, wie man Glück eigentlich festhält. Auch sängerisch entfacht Anna Nechaeva einiges an Feuer. Sie verfügt über ein charakteristisches Timbre (dem Metall die nötige Würze verleiht), die Höhe hat Kraft, Schärfe und Fähigkeit zur Expansion, und auch die Tiefe klingt jederzeit klar. Und im vierten Akt hat die Russin die Energie, Manon zur tragischen Heroine zu machen.
Mit Renato Des Grieux meint es das Schicksal kaum besser. Die Regie auch nicht. Riccardo Massis voluminöse Karohose erstickt jeden Gedanken an original italienischen Sexappeal. Linkisch-schüchtern lungert Des Grieux am Filmset herum. Aber per fortuna bleibt ja noch ein dicker Pluspunkt: Massis klangschöne lyrische Tenorstimme. Massi ist kein Testosterontenor, singt lyrisch variabel. Seine kurzen Tenorarien leuchten eher verhalten: Das kokette „Tra voi belle“ geht Massi fast tastend an, das schönheitstrunkene „Donna non vidi mai“ leidet an Vokalverfärbungen („Non ve??di mai“, „mi vagan nello spe???rto“)
Die Attacke ist zögernd (Massi tastet sich an Töne heran, und das nicht nur bei hohen Tönen), die Linie erweist sich als unstet (was besonders im Duett des ersten Aktes am langsamen Tempo Tatarnikows liegen kann), die Register sind eher unausgeglichen. Hat man das erst mal intus, überzeugen der sinnliche Klang, die emotionale Kraft seines Singens, das Bemühen um dynamische Stufungen, der kunstvolle Einsatz der Mezzavoce. Die leidenschaftlichen Duette mit Nechaeva sind großes (Gefühls-)Kino, auch wenn Riccado Massi darstellerisch nicht gerade in der Champions League spielt.
Dass Lescaut ein gottverdammter Moral-Hallodri ist, merkt irgendwann jeder Zuschauer. Beim herb singenden Roman Trekel ist dieser Hallodri in gar nicht so schlechten Händen. Eindringlich gelingt Trekels „Sei splendida e lucente“ im zweiten Akt, andernorts liegen Trekel Puccinis kantable Rezitative indes nicht immer so gut in der Kehle.
Dem lüsternen Geronte verleiht Franz Hawlata etwas schütteres vokales Profil. Leider fällt Flimm nicht viel zu Geronte ein. So bleibt Hawlata nur übrig, den tatterigen Lustmolch zu mimen. Als Edmondo singt Stephan Rügamer das herrliche „Giovinezza è il vostro nome/la speranza è nostra iddia“ mit schlanker Tenorgrazie.
Auch die kleineren Rollen werden adäquat besetzt. Natalia Skrycka ist die sehr, also äußerst wohlklingende Tänzerin, die im Bunny-Kostüm „Sulla vetta tu del monte“ singt. Der effektvoll näselnde Miloš Bulajić verkörpert Ballettmeister sowie Lampenanzünder. Der dienstfertige Wirt findet in Dominic Barberi seinen Meister. Vincenzo Neri singt den Sergeant, der formidable David Oštrek den Kapitän (warum zum Teufel lässt Flimm ihn durchs Sprechrohr singen?).
Es dirigiert…
Es dirigiert Mikhail Tatarnikow. Er wird im Laufe des Abends besser. Zu Beginn deutet sich die orchestral unbedeutendste Staatsopernpremiere seit langem – seien wir ehrlich, seit sehr langem – an. Das Orchester klingt matt, verwaschen, das Fortissimo tönt über Gebühr extrovertiert. Den fabelhaften Amiens-Akt (den 1.) nimmt Tatarnikow doch wohl zu langsam. Das Orchester deckt die Sänger zu: Ein Edmondo wird nun einmal selten von einem Pavarotti gesungen, sollte aber dennoch Wort für Wort verständlich sein. Schön gelingen Tatarnikow die lyrischen Stellen. Der zum Ende so realistischen, doch immer schönheitsberauschten Partitur wird Tatarnikow also nur teilweise gerecht. Tatarnikows Zugriff ist sentimental, nicht analytisch. Das ist in Ordnung. Aber Puccinis Partituren sind viel zu gut gebaut, um sie nur sentimental zu vernaschen. Macht er ja auch nicht. Aber die Tendenz zum Vernaschen ist bei Tatarnikow da. Und der Chor klingt bei der dritten Vorstellung sicherlich sicherer.
Der Applaus ist doch sehr kurz. Es gibt keinen Vorhang für die Sänger. Hallo, Publikum??!! Aus dem ersten Rang buhen zaghaft die Flimm-Verächter.
Fazit: Jürgen Flimms Puccini-Regie haut niemanden vom Hocker. Die Sänger treffen allesamt den Nerv.
Gilbert ist der Mann für Energie, Flow und speziellen Vibe. Gilbert ist Noch-Chef der New York Philharmonic und bei ihm strömt die Musik. Gilbert ist kein penibler Taktschläger, obwohl er den Stab superlocker und zugleich bewundernswert präzise führt. Weiterlesen →